Tauchgang #17: Ein Funken Zweifel
- Parthena Intze

- Dec 8
- 5 min read

Die Gaslampen flackern, Schatten ziehen sich über die verzierte Tapete. In der Mitte des Raumes steht Paula, die Augen weit aufgerissen, und atmet tief ein. Ihre Stimme ist leise, fast entschuldigend. „Du ... du denkst, ich bin verrückt.“ Der Raum antwortet, bevor ihr Mann es tut. Das flackernde Gaslicht ist eine Choreografie, die sie dazu bringen soll, ihre Erinnerung und ihr Selbst in Frage zu stellen. Gregory, ihr Mann, tritt ins Bild, vollkommen gelassen. Er muss seine Stimme nicht erheben. Die Manipulation liegt in der vorsichtigen Neigung seines Kopfes und in den Pausen, wenn er spricht. „Meine Liebe ... ich will nur das Beste für dich.“ So beginnt es, die sanfte Aushöhlung der Wahrheit. Ein langsames Erlöschen des inneren Lichts, bis Paula nicht mehr den Manipulator, sondern sich selbst anzweifelt.
Manipulation und Gaslighting sind Dynamiken, die nicht nur auf psychologischer Ebene wirken und uns verwirrt, desorientiert oder beschämt zurücklassen. Sie beeinflussen direkt unsere tiefsten neurobiologischen Überlebensreaktionen. Unser limbisches System geht in den Stressmodus über (siehe Tauchgang #5), und unser Gehirn (siehe Tauchgang #1) opfert unser Selbstvertrauen in seinem Versuch, Klarheit zu finden und Muster zu erkennen.
Aus einer polyvagalen und traumainformierten Perspektive (siehe Tauchgang #7) macht diese Reaktion total Sinn. Wenn wir uns verunsichert fühlen, schaltet das Nervensystem in einen oder mehrere Überlebensmodi: Kampf („Ich muss sie überzeugen”), Flucht („Ich vermeide das Gespräch”), Erstarrung („Ich schalte ab”) oder Unterwürfigkeit („Ich stimme zu, um den Frieden zu wahren”, siehe Tauchgang #16). Keine dieser Reaktionen ist ein Fehler, sondern vielmehr eine Anpassungsstrategie, die uns einst Sicherheit gegeben hat.
Ein neurochemischer Tanz
Die Beziehung zwischen Manipulierendem und Manipuliertem ist immer beziehungsbezogen: Im Zusammenspiel zwischen zwei Nervensystemen und ihren Mustern suchen sich die Gaslighter ihre Partner normalerweise nicht zufällig aus. Ob bewusst oder unbewusst, sie nutzen oft den Schutzinstinkt von Menschen aus, die bestimmte Stärken zu haben scheinen: Empathie, Verantwortungsbewusstsein und die Fähigkeit, emotionale Signale zu lesen. Menschen mit manipulativen Tendenzen hingegen haben oft Schwierigkeiten mit Verantwortungsbewusstsein, dem Eingestehen von Fehlern oder Scham. Um damit umzugehen, haben sie gelernt, dass sie sich nicht selbst regulieren müssen, weil Empathen die Regulierung für sie übernehmen.
Da Empathen bereit sind, sich selbst zu hinterfragen, muss der manipulative Teil dies nicht tun. Sie schieben die Verantwortung nach außen, und empathische Menschen neigen dazu, sie zu übernehmen, weil sie Harmonie, Fairness und Verbundenheit schätzen. Während empathische Menschen an „Wiedergutmachung” glauben, glauben manipulative Menschen daran, sich von Schamgefühlen zu befreien, indem sie die Kontrolle über die Erzählung übernehmen.
Die heilende Botschaft beim Verständnis dieser verflochtenen Beziehung besteht darin, dass wir erkennen können, wie ihre unterschiedlichen Bedürfnisse einen wechselseitigen neurochemischen Kreislauf aus Hoffnung und Verwirrung zwischen ihnen erzeugen. Wenn wir dies mit unserer polyvagalen Linse betrachten, erkennen wir, dass Menschen mit manipulativen Tendenzen keine böswilligen Intriganten sind. Sie können ihr überwältigendes Gefühl von Scham, Angst oder Unsicherheit nicht selbst regulieren – und sie sind traumatisiert, ja sogar verängstigt, Fehler zu machen.
Was tun
Das Erkennen von Gaslighting beginnt damit, dass wir wahrnehmen, was in uns vorgeht: Verwirrung und ständige Selbstzweifel nach Interaktionen, sich verschiebende Grenzen, Gespräche, die uns verunsichern oder unsere geistige Gesundheit in Frage stellen, Inkonsistenz zwischen Worten und Taten (heute warmherzig, morgen abweisend).
Ausgehend von diesem Bewusstseinszustand kommt der eigentliche Wendepunkt durch die Wiederherstellung der Verbindung zu unserem Körper. Bevor wir reagieren, ist der erste Schritt immer die Regulierung: Ein langsames Ausatmen, eine Hand auf der Brust, das Spüren unserer Füße auf dem Boden, das Fokussieren der Augen auf einen einzigen, ruhigen Punkt. In diesem Zustand können wir die Situation so sehen, wie sie ist, und nicht durch die Brille des Stresses.
Von hier aus wird eine Realitätsüberprüfung möglich. Was habe ich wahrgenommen? Welche Emotionen habe ich empfunden? Was sind Fakten und was sind Interpretationen? Würde ein neutraler Beobachter das genauso sehen? Diese Fragen durchbrechen den Nebel, den Manipulation erzeugt. Sie geben unserem inneren Zeugen seine Autorität zurück.
Der nächste Schritt ist das Setzen von Grenzen. Grenzen müssen nicht laut, emotional oder konfrontativ sein. Sie können ruhig, einfach und entschlossen sein: So habe ich das nicht erlebt. Ich möchte das jetzt lieber nicht besprechen. Ich stimme deiner Interpretation nicht zu. Lass uns das dokumentieren, damit wir beide Klarheit haben. Unsere Grenzen sind keine Ablehnung des anderen, sondern ein Akt der Selbstführung.
Unser Narrativ in den Vordergrund zu stellen (siehe Tauchgang #6) ist ein weiteres entscheidendes Element. Das Aufschreiben des Geschehens oder das Gespräch mit einer vertrauten Person stellt die Kontinuität wieder her. Manipulation gedeiht in Unklarheit, während Klarheit ihre Macht auflöst. Wenn wir unsere Geschichte in unseren eigenen Worten artikulieren, ohne uns zu zensieren, um zu gefallen, zu beschönigen oder Konflikte zu vermeiden, gewinnen wir die Urheberschaft unserer Erfahrung zurück.
Die Stärkung unseres Selbstwertgefühls ist sowohl ein psychologischer als auch ein neurobiologischer Prozess. Selbstwertgefühl ist ein Netzwerk neuronaler Bahnen, das jedes Mal gestärkt wird, wenn wir uns für uns selbst entscheiden. Kleine Handlungen, z. B. Mikroentscheidungen, die die Handlungsfähigkeit stärken, sind besonders wirkungsvoll: entscheiden, wann man auf eine Nachricht antwortet, eine zweiminütige Pause machen, vor der Antwort Wasser trinken, sich aus einer hitzigen Diskussion zurückziehen. Diese Mikrohandlungen sagen dem Gehirn: Ich habe die Wahl. Ich habe Einfluss. Ich bin nicht gefangen.
Schließlich spielt auch die Co-Regulierung eine wichtige Rolle. Magie entsteht, wenn wir uns mit Menschen umgeben, die uns stabilisieren statt zu verunsichern, die zuhören statt abzuweisen, die uns helfen, uns wieder mit unserem inneren Kompass zu verbinden. Das Nervensystem lernt Sicherheit durch sichere Beziehungen. Es erinnert sich leichter an seine Stärke in der Gegenwart von geerdeten, respektvollen und emotional verfügbaren Menschen.
Die Perle in der Muschel
Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich empathische Menschen sehr wahrscheinlich nicht in manipulative Beziehungen verstricken, weil sie schwach sind – sondern weil sie stark sind. Für einen Gaslighter wird die emotionale Kompetenz eines empathischen Menschen zur Leinwand, auf die er seine Verdrängungen, seine Scham und seine Unsicherheiten malt.
Das ist weniger eine Art „guter Cop, böser Cop“-Dynamik. Es ist eher so, dass beide Tänzer mit Überlebensstrategien arbeiten, die einfach zu gut zusammenpassen. Aus polyvagaler Sicht neigen wir dazu, manipulative Verhaltensweisen dann zu entwickeln, wenn unser Nervensystem im Abwehrmodus feststeckt und wir Schwierigkeiten haben oder sogar nicht in der Lage sind, uns zu co-regulieren. Empathische, emotional intelligente Menschen hingegen agieren eher aus einem regulierten, ventralen Vagus-Zustand heraus. Dadurch werden sie aber auch wesentlich anfälliger dafür, auf Stresssignale von außen schnell zu absorbieren und sie zu ihren zu machen.
Letztendlich geht es beim Erkennen von Gaslighting nicht darum, immun gegen Manipulation zu werden. Es geht darum, eine tiefe Verbindung zu unserem inneren Wissen aufzubauen. Gaslighting zielt darauf ab, das Licht unseres Selbstvertrauens zu trüben. Unser Superhelden-Nervensystem ist dazu da, uns daran zu erinnern, wer wir sind, wie wir unsere Grenzen stärken können und wie sich Sicherheit, Integrität, Klarheit und Mut anfühlen.
Wie Coaching unterstützen kann
Coaching kann unsere Fähigkeit stärken, in unserer eigenen ventralen Vagusregulation verankert zu bleiben, Grenzen zu setzen, Selbstvertrauen aufzubauen und zu erkennen, wenn diese für jemand anderen überfunktionieren. Durch z. B. innere Arbeit, bewusstes Wahrnehmen und somatische Werkzeuge lernen wir, in Verbindung mit uns zu bleiben und uns selbst nicht aufzugeben. Gaslighting verliert seine Macht in dem Moment, in dem wir lernen, uns in unserem eigenen Körper, unserer eigenen Wahrheit und unserer eigenen Handlungsfähigkeit zu verankern.
Auf derselben Ebene kann Coaching jemandem mit manipulativen Tendenzen und Bewältigungsmechanismen helfen, sein Abwehrverhalten zu erkennen, seine Perspektiven zu ändern und zu lernen, Verletzlichkeit zu tolerieren oder neue Wege zu finden, um Scham und Angst zu regulieren. Dadurch kann er sich einen Weg zu mehr Beziehungsbalance und emotionaler Reife eröffnen.
Mein Deep Dive Coaching-Ansatz lädt dich dazu ein, Gaslighting nicht stärker zu bekämpfen, sondern deine Wahrheit klarer zu sehen. Er führt dich von der Oberfläche, wo Verwirrung herrscht, hinab in die ruhige, geerdete Tiefe deines inneren Ozeans. Hier kontrollieren dich die Wellen der Manipulation nicht. Hier ist deine Wahrnehmung keine Verhandlungssache.
Meine Bücher des Monats
Gaslighting: How to recognize manipulative and emotionally abusive people – and break free (Dr. Stephanie Sarkis, 2019)
Gaslighting: The Narcissist’s favorite tool of Manipulations – How to avoid the Gaslight Effect and Recovery from Emotional and Narcissistic Abuse (Dr. Theresa J. Covert, 2019)
