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Tauchgang #15: In der Ruhe

  • Autorenbild: Parthena Intze
    Parthena Intze
  • 10. Okt.
  • 5 Min. Lesezeit

 


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Oft wird uns gesagt, dass Erfolg und Erfüllung durch ständiges Streben zustande kommen: wir kämpfen um unseren Platz in der Welt, versuchen, unsere Meinung durchzusetzen, konkurieren um Aufmerksamkeit, streben danach, die höchste Anzahl an Followern zu haben. Image und Leistung sind zu unserem Mantra geworden. In unserem Streben nach mehr Kontrolle, Macht und Rechthaben brennen wir uns oft selbst aus. Aber verzweifel nicht! Es gibt eine Lösung für all das. Eine neue Art von Luxus, eine stille Rebellion, die es wert ist, errungen zu werden, und die nicht mit dem offensichtlichen "Bling" einhergeht: die Kunst des Nichtstuns, auch Wu-wei genannt.

 

In einer Welt, die ständige Betriebsamkeit belohnt, kann sich die Idee des bewussten "Nichtstuns" kontrakulturell anfühlen. Unter den vielen Religionen und Praktiken, die das Innehalten und Stehenbleiben in den Mittelpunkt stellen, geht einer dieser alten Ursprünge auf die chinesische Philosophie des Taoismus zurück. Tao bedeutet "der Weg". Es bewirbt ein Leben im Einklang mit dem natürlichen Fluss des Universums. Anstatt gegen die Widrigkeiten zu kämpfen und zu versuchen, alles zu kontrollieren, ermutigt uns der Taoismus, uns mit dem Strom zu bewegen. Ganz ähnlich wie Wasser, das sanft um Felsen herumfließt und schließlich Berge formt.



 



Ich weiß. Allein der Gedanke daran ist mit Fragezeichen versehen. "Nichts zu tun?! Das ist Faulheit! Das ist Passivität!" Nun, versuche es mal so zu sehen: Bei Wu-Wei geht es nicht darum, "nicht zu handeln" oder "sich dem zu ergeben, was kommen mag". Es geht darum, "mit dem Strom zu schwimmen" und "im richtigen Moment mit Leichtigkeit zu handeln, anstatt Dinge zu erzwingen." Es geht eher um bewusstes Reagieren. Es lädt uns ein, darauf zu vertrauen, dass sich die richtige Handlung ergibt, wenn wir aufhören, gegen den Strom zu schwimmen.

 

Wu-wei verlangt von uns, dass wir vollkommen aufmerksam, präsent und eingestimmt sind. Es lehrt uns, zu spüren, wann wir uns bewegen, wann wir innehalten und wann wir den Dingen ihren Lauf lassen sollten. Auf diese Weise ist Wu-Wei eher eine Praxis des Vertrauens und der Klarheit: Wir bewahren unsere Energie für das, was wirklich wichtig ist. Unsere Handlungen haben eine stille Kraft, weil sie aus der Harmonie und nicht aus dem Widerstand heraus entstehen. Es ist eine wunderschöne Einladung, mühelos mit dem Leben zu tanzen.

 

In einer Welt, die oft die Geschäftigkeit zelebriert, ist das Nichtstun eine Erinnerung daran, dass es manchmal das Klügste ist, innezuhalten. In einer Gesellschaft, die süchtig nach Produktivität ist, ist die Aufforderung, innezuhalten, weniger zu tun, einfach zu sein, nicht nur erfrischend, sondern unerlässlich.

 

Warum ist das heute so wichtig

Die uralte Philosophie des Wu-wei wirkt heute verblüffend aktuell. Sie mag wie etwas Mystisches klingen. Doch wenn wir uns ansehen, was Neurowissenschaften über das Gehirn sagen (siehe Tauchgang #1), stellt sich heraus, dass diese uralte Weisheit erstaunlich modern ist.

 

Unser Gehirn ist nicht für ständige Anstrengung und Kontrolle ausgelegt. Wenn wir uns zu sehr anstrengen, aktivieren wir die Stressreaktion: Das Cortisol steigt an, unser Nervensystem schaltet auf Übersteuerung und wir verlieren die Fähigkeit, klar zu denken (siehe Tauchgang #5). Dann fühlen wir uns festgefahren, ängstlich oder ausgebrannt. Sich von dem Drang, alles zu kontrollieren, zu lösen, ist ein radikaler Akt des Gleichgewichts in einer Zeit, in der wir scheinbar nie aufhören, uns zu bewegen.

 

Die Neurowissenschaft bestätigt, dass unser Gehirn Momente der Ruhe braucht, um zu verarbeiten, zu integrieren und sich zu regenerieren. Während dieser Ruhephasen wechselt unser Gehirn in den "Standardmodus". So wie Muskeln nicht während des Trainings, sondern in der Erholungsphase wachsen, so gewinnt auch unser Geist in der Stille an Spannkraft, wenn wir ihm eine Pause gönnen. In diesem Sinne ist Nichtstun keine Zeitverschwendung, sondern ein fruchtbarer Boden für Kreativität, Einsicht und emotionales Gleichgewicht - und Widerstandsfähigkeit. In diesen Momenten verknüpft das Gehirn Ideen, regeneriert sich und findet kreative Lösungen. Wenn wir nicht klammern, nicht kämpfen, sondern einfach nur zulassen, ist unser Gehirn "in the zone" und geht mit dem Strom.

 

Einfach ausgedrückt bestätigt die Neurowissenschaft das, was das Tao schon immer gesagt hat: Gleichgewicht findet man nicht, indem man mehr tut, sondern indem man weniger mit größerem Bewusstsein tut. Wenn wir innehalten, repariert und reorganisiert sich unser Gehirn.

 

Die Perle in der Muschel

Wenn es um die Vorteile des Innehaltens geht, geben sich alte Weisheit und moderne Wissenschaft die Hand. Indem wir dem Flow vertrauen, Pausen einlegen und in der Gegenwart bleiben, fliehen wir nicht vor der Realität. Im Gegenteil, wir stellen unser Gehirn so ein, dass es so funktioniert, wie es ursprünglich gedacht war: mit Ausgeglichenheit, Kreativität und Widerstandsfähigkeit.

 

Zu lernen, nichts zu tun kann transformativ sein. Es hilft uns dabei


  • in der Gegenwart zu bleiben, anstatt uns in vergangenes Bedauern oder Zukunftsängste zu verstricken.

  • dem Prozess zu vertrauen, anstatt nach voreiligen Lösungen zu greifen.

  • genau hinzuhören - auf unsere eigene Stimme, auf andere, auf die subtilen Hinweise des Kontextes.

  • mit Leichtigkeit zu handeln, wenn der richtige Moment gekommen ist, anstatt Energie in ständiger Anstrengung zu verbrauchen.

 

Wu-Wei lädt nicht zur Untätigkeit ein, sondern zu abgestimmtem Handeln. Es ist ist im Einsatz, wenn wir, z.B. anstatt in einem hitzigen Gespräch krampfhaft unseren Punkt zu verteidigen, tief durchatmen und zuhören. Pausen und Stille sind niemals leer. Sie sind machtvoll, voller Möglichkeiten und eine Quelle der Erneuerung. Wenn wir in der Stille innehalten, schaltet unser Gehirn einen Gang zurück: Der Stresspegel sinkt, die Kreativität steigt, und das Nervensystem findet sein Gleichgewicht.

 

Das Paradoxon ist einfach: Indem wir die Stille (und das Schweigen) annehmen und praktizieren, rüsten wir uns dafür, mit mehr Klarheit, Kreativität und Mitgefühl durch die Welt zu gehen. Das Nichtstun erinnert uns daran, dass es im Leben nicht nur darum geht, zu konkurrieren, sondern auch darum, zu fließen. Wir entdecken, dass, wenn wir für einen Moment aufhören zu drängen, Möglichkeiten natürlicher erscheinen, Beziehungen sich vertiefen und das Wohlbefinden gestärkt wird. Es geht nicht darum, sich aus dem Leben zurückzuziehen, sondern darum, sich auf eine leichtere, natürlichere Weise auf das Leben einzulassen.

 

Wenn sich die Welt das nächste Mal zu laut anfühlt, versuche, eine Pause einzulegen. dein Gehirn, dein Herz und deine Entwicklung werden es dir danken.

 

Wie Coaching unterstützen kann

Coachees, die den Druck verspüren, ständig "etwas tun zu müssen" (z. B. die Stille zu füllen, Ergebnisse zu erzielen, jedes Problem sofort zu lösen) sehnen sich oft danach, einen Weg zu finden, nicht mehr unter Druck zu reagieren sondern achtsamer zu agieren. Sie fühlen sich vom Leistungsdruck, dem Gewicht der eigenden und fremden Erwartungen oder dem ständigen Geplapper ihrer inneren Kritiker (siehe Tauchgang #11) mitgerissen.

 

Coaching schafft einen Raum, in dem die Klienten innehalten, nachdenken und zuhören können, ohne zu urteilen, was dabei herauskommt. Ein Coach drängt nicht und macht keine Vorschriften, sondern lässt Raum, stellt Fragen und lädt den Klienten ein, seine eigenen Antworten zu finden. Es geht nicht darum, Ergebnisse zu erzwingen, sondern dem Klienten zu erlauben, sich auf natürliche Weise zu entwickeln, indem er sich mit seinem inneren Flow verbindet. Coaching unterstützt, indem es den Klienten hilft, bewusst innezuhalten, eigene Denkmuster zu beobachten, zu bemerken, wann sie von der Gedankenspirale mitgerissen werden, und in die Gegenwart zurückzukehren - ähnlich wie Wasser, das zurück in sein Flussbett fließt.

 

Auch im Coaching ist die Stille Gold wert. Die wortlosen Momente nach einer kraftvollen Frage bringen oft die tiefsten Einsichten und Durchbrüche. Die Klienten können sich selbst denken hören, eine innere Weisheit spüren und bemerken, was sich hinter dem Lärm des Alltags verbirgt, herausfinden, was wirklich wichtig ist, und neue Perspektiven entdecken. Im Coaching sind Pausen und Stille fruchtbare Böden: Das Innehalten hilft den Klienten, ihre eigenen Perlen der Wahrheit zu entdecken.

 

Wenn wir aufhören, verbissen etwas kontrollieren zu wollen, das uns aus dem Gleichgewicht gebracht hat, erkennen wir, dass das Gleichgewicht nie verloren war. Es wartete nur in der Stille darauf, wiedergefunden zu werden. In Verbindung mit Coaching, das Raum für mehr Reflexion bietet, ist dies letztlich ein Tor zur Kultivierung von mehr Selbstmitgefühl.

 

Meine Bücher des Monats

Wu wei: The Taoist art of living (Theo Fischer, 2005)

 

 
 
 

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